Inhalt:
1. Wie lässt sich die Multi-Infarkt-Demenz charakterisieren?
3. Was ist eine zerebrovaskuläre Erkrankung?
4. Welche Risikofaktoren bedingen einen Hirninfarkt und welche Faktoren schützen davor?
5. Welche Symptome charakterisieren eine Multi-Infarkt-Demenz?
6. Wie kann eine Multi-Infarkt-Demenz diagnostiziert werden?
7. Welche psychometrischen Tests und Screeningverfahren werden zur Demenz-Diagnostik angewandt?
8. Was bedeutet es an einer Demenz zu leiden?
9. Welche Form der Therapie gibt es für Demenzen?
10. Wie können Angehörige und Pflegekräfte den äusseren Lebensrahmen von Demenzerkrankten gestalten?
11. Wie kann die Gestaltung des äusseren Lebensrahmen aussehen?
12. Wie können wir mit Demenz-Erkrankten Menschen kommunizieren?
Es ist nicht ganz einfach den Begriff Multi-Infarkt-Demenz einem eindeutigen Symptomkomplex zuzuordnen, da dieser doch in recht unterschiedlicher weise in der Literatur gehandhabt wird. Grundsätzlich versteht man unter Multi-Infarkt-Demenz eine Demenzform, die auf eine zerebrovaskuläre Erkrankung zurückzuführen ist und deswegen oft auch vaskuläre Demenz genannt wird. Die zerebrovaskulären Erkrankungen führen zu Durchblutungsstörungen, die einen Sauerstoffmangel im Gehirn auslösen. Dieser führt schließlich zum Absterben vieler einzelner Gehirnzellen.
Der Begriff Demenz bezeichnet ein Syndrom, d.h. ein klinisches Zustandsbild, welches durch eine Kombination mehrerer Einzelsymptome gekennzeichnet ist, aber nicht an den Nachweis einer speziellen Krankheitsursache gebunden ist." (Oesterreich 1993, 22, zit. nach Domday, 1996)
Die Demenz ist charakterisiert durch ein Gedächtnisdefizit, verbunden mit einer Beeinträchtigung des Urteilsvermögens, des abstrakten Denkens, Störungen höherer kortikaler Funktionen und/oder mit Persönlichkeitsänderungen. Die Symptome haben eine organische Grundlage und dürfen nicht nur während eines Delirs auftreten. Eine Demenz liegt definitionsgemäss nur dann vor, wenn die Störungen schwerwiegend genug sind, so dass sie berufliche und soziale Kompetenzen deutlich beeinträchtigen.
DSM-III-R
Kriterien für eine Demenz:
(A) Nachweisbare Beeinträchtigung des Kurzzeit- und Langzeitgedächtnisses.
(B) Mindestens eines der folgenden Merkmale
(C) Die Störung von (A) und (B) ist so schwer, dass hierdurch die Arbeit, soziale Alltagsaktivitäten oder persönliche Beziehungen zu anderen Menschen deutlich beeinträchtigt werden.
(D) Die Störung darf nicht nur während eines Delirs vorhanden sein.
(E) Entweder (1) oder (2) muss zutreffen:
Zum Vergleich finden sich die ausführlichen Demenzkriterien des ICD-10 im Anhang.
Demenzen gliedern sich in primäre und sekundäre Demenzen. Sekundäre Demenzen sind vorwiegend auf extrazerebrale Erkrankungen zurückzuführen, sie entstehen also nicht aufgrund hirngeweblicher Veränderungen sondern durch internistische Krankheiten, Entzündungen und Infektionen, endokrine Erkrankungen, Intoxikationen und Mangelsyndrome. Sie machen etwa 10% aller dementiellen Erkrankungen aus. Wenn die zugrundeliegende Erkrankung behandelbar ist, ist eine Besserung oder sogar eine Ausheilung möglich.
Primäre Demenzen entstehen im Bereich des Zentralnervensystems. Demenzen diesen Typs machen 80-90% aller Fälle aus, hauptsächlich fallen hierunter Demenzen vom Alzheimertyp und Multi-Infarkt-Demenzen. Sie sind nicht heilbar und oft nur schwer therapierbar.
Etwa 50-60% aller Demenzkranken sind alzheimerkrank. Bei 10-20% der Kranken sind Durchblutungsstörungen die Ursache fortschreitender Veränderungen (vaskuläre Demenz). Weitere 15-20% aller Kranken leiden sowohl an einer Alzheimer Krankheit als auch an einer durchblutungsbedingten Demenz. Die übrigen etwa 10% der Demenzerkrankungen setzen sich aus vielen zum Teil seltenen Erkrankungsformen und Ursachen zusammen, von denen einige heute gut behandelbar sind.
Multi-Infarkt-Demenzen weisen im Vergleich zur Alzheimer Krankheit häufig eine eher schwankenden oder treppenförmigen Krankheitsverlauf und eine vielfältigere Symptomatik auf, während Alzheimer Erkrankungen eher gleichmäßig mit leichten Schüben und charakteristischen Symptomen verlaufen.
Unter dem Begriff zerebrovaskuläre Erkrankungen versteht man Erkrankungen der Gehirngefässe. Es werden zwei Krankheitsbilder unterschieden:
Hirninfarkte und die Demyelinisierung des Marklagers (Morbus Binswanger).
Hirninfarkt (Schlaganfall):
Unter dem Begriff Schlaganfall oder auch Apoplexie, Hirnschlag, Insult werden zwei unterschiedliche Krankheitsbilder zusammengefasst. Zum einen die Hirnblutung oder intracerebrales Hämatom die aufgrund eines geplatzten Blutgefässes zustande kommt. Das andere Krankheitsbild meint einen unblutigen Schlaganfall oder ischämischen Infarkt und wird durch den Verschluss von Blutgefässen verursacht. Beide Krankheitsbilder haben ähnliche Symptome, und wurden deswegen früher, als noch keine Computertomographie zur Verfügung stand nicht eindeutig unterschieden. Beim einem Schlaganfall können aufgrund der Schädigung des Gehirngewebes bestimmte Funktionen des Gehirns gestört werden, und im schlimmsten Falle kann daraus eine Demenz resultieren.
Wir sprechen dann von einer vaskulären Demenz bzw. einer Multi-Infarkt-Demenz.
Nach ICD-10 werden die beiden Begriffe unterschiedlich definiert. Die Multi-Infarkt-Demenz wird nicht durch ein singuläres Ereignis, wie z.B. singuläre Infarkte an kritischen Stellen verursacht (vaskuläre Demenz), sondern die dementiellen Symptome sind erst nach mehreren kleineren ischämischen Episoden, die zu einer Anhäufung von Infarkten im Hirngewebe führen, zu diagnostizieren (Vergleiche dazu auch die einzelnen Kriterien für die jeweiligen Demenzarten im Anhang) .
Aufgrund unterschiedlicher dementieller Verlaufsformen einzelner zerebrovaskulärer Erkrankungen werden diese zusätzlich auch nach histopathologischen Kriterien klassifiziert. So werden multiple Infarkte, strategische Infarkte und Marklagerschäden unterschieden. Die folgende Tabelle (Müller, Laux Kapfhammer) gibt eine Übersicht über die Formen der Demenz bei zerebrovaskulären Krankheiten.
Art der Läsion | Pathologie | Ursache | Risikofaktoren | Klinisches Bild |
Multiple Infarkte | Kortikale Territorial-infarkte subkortikale lakunäre Infarkte | thromb- embolische Verschlüsse grosser Arterien und Arterienäste thromb- embolische Verschlüsse kleiner Arterien | Hypertonie, Diabetes, Rauchen |
Kortikale Demenz |
Strategische Infarkte | Bilaterale Infarkte im gyrus angulairs, basalem Vorderhirn, Hippocampus und Thalamus | thromb- embolische Verschlüsse kleiner Arterien | Hypertonie, Diabetes,
Rauchen |
Lokalisationsabhängig bei Thalamusinfarkten frontale Demenz |
Marklagerschäden | Subkortikale Demyensilisierung, inkomplette Infarzierung, Erweiterung der Virchow-Robin-Räume | Hypoperfusion im Versorgungsgebiet langer penetrierender Marklargerarteriolen | rekurrente Hypotonie,
Hypertonie |
Subkortikale Demenz |
Aus Müller, Laux, Kapfhammer: Psychiatrie und Psychotherapie
Im folgenden werden die beiden Begriffe, Multi-Infarkt-Demenz und vaskuläre Demenz synonym verwandt. (Vergleiche dazu auch die ICD-10 Kriterien im Anhang).
Es gibt eine Vielzahl von Faktoren die einen Hirninfarkt verursachen können, allerdings erklären die bekannten Faktoren lediglich 30-40% aller Infarkte.
Einer der Hauptrisikofaktoren für den Schlaganfall ist das Lebensalter. Die Schlaganfallhäufigkeit steigt exponentiell mit zunehmendem Alter. Nach dem 50. Lebensjahr verdoppelt sich das Risiko alle zehn Jahre.
Hypertonie erhöht das Schlaganfallrisiko um das 2,5 - 6,3fache und ist, bezüglich Prävention und Therapie der wichtigste Risikofaktor. 35% bis 50% der ischämischen Hirninfarkte und 60 bis 70% der Hirnblutungen treten bei Hypertonikern auf.
Diabetes mellitus ist ein unabhängiger Risikofaktor für den Schlaganfall. Bei Diabetikern ist das Schlaganfallrisiko verdoppelt, darüber hinaus weisen sie einen ungünstigeren Verlauf und eine schlechte Prognose auf.
Eine weitere wesentliche Rolle spielen die Blutfette, hohe Cholesterin- und niedrige HDL-Spiegel erhöhen das Risiko für einen ischämischen Insult.
Herzerkrankungen, Vorhofflimmern, Karotisstenosen erhöhen das Risiko.
Die Pille erhöht in Kombination mit Übergewicht, Rauchen, Migräne das Schlaganfallrisiko. Nach der Menopause scheint die Hormontherapie einen leicht protektiven Effekt auszuüben.
Die Wahrscheinlichkeit eines Insults steigt mit der Anzahl der täglich gerauchten Zigaretten. Alkohol hingegen wirkt in geringen Mengen leicht protektiv. Exzessiver Alkoholkonsum steigert wiederum das Risiko einer zerebralen Blutung. Wichtige protektive Faktoren sind die sogenannten Radikalfänger oder Antioxidantien, wie z.B. Beta-Carotin oder Vitamin C.
Gemäss der obengenannten Klassifizierung der vaskulären Demenzen nach Art der Läsion, lassen sich neuropsychologische Defizite eben diesen Läsionsarten zuordnen.
Multiple Infarkte resultieren in einer kortikalen Demenz mit den Symptomen Aphasie, Agnosie, Amnesie, Apraxie. Dies zeigt sich vor allem im Verlust der Fähigkeit zur zeitlichen, räumlichen, situativen und personellen (zur eigenen Person wie zu anderen Personen) Orientierung.
Morbus Binswanger bzw. Marklagerschäden äussern sich in einer subkortikalen Demenz mit den Symptomen, Gedächtnisdefiziten, Aufmerksamkeitsproblemen, Haltungs- und Gangstörungen und motorischen Störungen.
Die Symptomatik von strategischen Infarkten ist wiederum vom exakten Ort der des Infarktes abhängig. Läsionen im Thalamus führen zu Gedächtnisstörungen, Störungen der verbalen Flüssigkeit, der mentalen Kontrolle, der kognitiven Flexibilität, des schlussfolgernden Denkens und u motorischen Defiziten. Ein Infarkt des Globus pallidus führt zu Gedächtnisstörungen und zu einer herabgesetzten kognitiven Flexibilität. Infarkte im Nucleus caudatus haben Defizite des Gedächtnisses, der Aufmerksamkeit, kognitiven Flexibilität, verbalen Flüssigkeit; in Planung, Organisation, Durchführung zur Folge. Störungen im Gyrus angularis führen zu Benennstörungen, Alexie mit Agraphie, konstruktiven Störungen.
Klagt ein Patient über Gedächtniseinbussen,
kognitive Anomalien oder über berufliche und soziale Überforderung
so wird er oder seine nächsten Verwandten professionelle Hilfe in Anspruch
nehmen. Neurologisch-psychiatrische Untersuchungen, also psychometrische Tests
und Screeningverfahren. werden dann entscheiden ob es sich bei den Störungen
des Patienten um altersadäquate Leistungsverschlechterungen handelt, ob
eine singuläre Gedächtnisstörung ohne Demenz vorliegt oder eben
ein dementielles Syndrom nach DSM-IV oder ICD-10.
Da eine Demenz von verschiedenen Erkrankungen
verursacht werden kann, ist die Abgrenzung zwischen den einzelnen Störungsbildern
unabdingbar. Mithilfe von Computertomographien, Magnetresonanztomographien,
Laboruntersuchungen und Elektroenzephalogrammen kann eine Multi-Infarkt-Demenz
von anderen dementiellen Erkrankungen wie Morbus Alzheimer, Morbus Pick, Chorea
Huntington, Morbus Parkinson, seltenen Systemerkrankungen sowie nicht näher
zu klassifizierenden Demenzen abgegrenzt werden. Eine absolute Garantie ergeben
allerdings nur histopathologische Untersuchungen.
Zur Klassifizierung, Beschreibung und Quantifizierung dementieller Syndrome gibt es viele psychometrische Tests und Screeningverfahren. Im folgenden werde ich einige davon vorstellen.
MMSE: Mini-Mental-State Examination (Folstein et al., 1975)
Der älteste Test von den hier genannten Tests ist ein Screening-Verfahren, das in nur 5-10 Minuten bearbeitet werden kann. Mit einfachen Fragen zu Zeit- und Raumorientierung, Gedächtnis, Aufmerksamkeit, Sprache, Exekutiv und motorische Funktionen sollen kognitive Kompetenzen bzw. Störungen erfasst werden. Die Fragen können in der Regel von kognitiv nicht beeinträchtigten Personen problemlos beantwortet werden. Der Mini-Mental-Status-Test ist zur Ergänzung der neuropsychologischen Testung gedacht und kann sie keinesfalls ersetzen. Mit dem MMST lassen sich Demente von Depressiven mit kognitiven Problemen, komplex affektiv Gestörten, und Normalen deutlich abgrenzen.
CAMDEX: The Cambridge Mental disorders of the Elderly Examination (Camdex; Roth et al., 1986)
Der CAMDEX ist das im angloamerikanischen Raum mit am häufigsten eingesetzte Instrument zur Diagnostik dementieller Erkrankungen und ihrer Klassifizierung nach ICD-10 und DSM-IV. Er integriert den gesamten Mini-Mental-Status-Test und umfasst ein strukturiertes psychiatrisches Patienteninterview, zwei Fragebogen zur Prüfung kognitiver Fähigkeiten und zur Erhebung des aktuellen psychischen Befindens sowie etwaiger Verhaltensauffälligkeiten und ein strukturiertes Fremdinterview zur Verifizierung der Patienten-Angaben. Ferner werden die Ergebnisse einer kurzen körperlichen Untersuchung sowie bedeutsame Laborbefunde und Dauermedikationen dokumentiert.
Demenz-Test: (Kessler, Denzler & Markowitsch, 1988)
Der Demenz-Test besteht aus dem Mini-Mental-State-Test, einem Gedächtnistest, einer verbalen Flüssigkeitsaufgabe, einem Apraxietest und Fragen zur Orientierung.
SIDAM: Strukturiertes Interview einer Demenz vom Alzheimer Typ, Multi-Infarkt-Demenz und Demenzen anderer Ätiologien nach DSM-III-R und ICD-10 (Zaudig, Mittelhammer & Hiller, 1990). Das SIDAM ermöglicht die Diagnose verschiedener Demenzsyndrome sowie leichter kognitiver Beeinträchtigung nach ICD-10 und DSM-III-R. Dieses Interview berücksichtigt ebenso wie die obengenannten Tests den Mini-Mental-State-Test, darüber hinaus enthält es verschiedene, voneinander unabhängig auswertbare Skalen wie Orientiertheit, unmittelbare Wiedergabe, Kurzzeitgedächtnis, Langzeitgedächtnis, Gedächtnis global, intellektuelle Leistungsfähigkeit, verbale/rechnerische Fähigkeiten, optisch-räumliche Konstruktionsfähigkeiten, Aphasie und Apraxie, und höhere kortikale Funktionen.
Dementiell Erkrankte erfahren eine Veränderung
ihrer gesamten Persönlichkeit. Sie verlieren im Laufe der Krankheit ihre
kognitiven Fähigkeiten. Die Wahrnehmung, das Verhalten und Erleben ändert
sich. Das Bewusstsein für diese Veränderungen bleibt allerdings erhalten,
was sich oft in Depressionen und anderen affektiven Störungen niederschlägt.
Gedächtnisausfälle machen sich
zuerst als Vergeßlichkeit bemerkbar. Termine werden versäumt, Dinge
verlegt. Die Betroffenen bemerken diese Tatsache meist als erste und versuchen
oft, sie zu bagatellisieren: ,,Jeder kann einmal etwas vergessen!"
Im Laufe der Zeit, wird aber auch das
Planen von Aktivitäten immer schwerer und die Erkrankten fühlen sich
von Neuem überfordert. In diesem Stadium lässt sich der Gedächtnissverlust
nicht mehr wegdiskutieren und verunsichert die Betroffenen zutiefst. Häufig
beginnt nun auch ein sozialer Rückzug, zum Schutz vor peinlichen Situationen
greifen Demente auf Notlügen und Schuldzuweisungen zurück. Durch den
Verlust der Merkfähigkeit verliert sich für den Kranken auch die zeitliche
Kontinuität - die Verbindung zum vorher, zum gerade eben Geschehenen kann
nicht mehr hergestellt werden. Die Erkrankten haben nicht nur Schwierigkeiten
mit der Speicherung von neu gewonnenen Informationen, sondern auch mit dem Abruf
von Altbekanntem, Bewährtem, den Inhalten des Langzeitgedächtnisses.
Die Kranken verlieren mit ihrer Gegenwart nun auch ihre Vergangenheit.
Der Gedächtnisabbau hat gravierende
Konsequenzen, es entsteht eine negative Spirale zwischen Informationsspeicherung
und Informationsverarbeitung. Verschiedene Reize können nicht mehr gleichzeitig
aufgenommen werden, abstrakte Denkinhalte werden nicht mehr verstanden. Das
allgemeine intellektuelle Niveau beginnt abzuflachen. Der Umgang mit alltäglichen
Dingen geht verloren, der Kranke ist immer weniger in der Lage, am Leben teilzunehmen
und immer mehr auf Hilfe angewiesen. Gewohnte Rollen gehen verloren, das Selbstwertgefühl
wird empfindlich verletzt. Durch das Unvermögen, sich in der Gegenwart
zu orientieren, greifen Demente immer mehr auf vertraute Erinnerungen aus der
Vergangenheit zurück. so kommt es, dass sich Kranke häufig auf die
Suche nach längst Verstorbenen machen und beispielsweise die Erwachsenen
Kinder nicht mehr erkennen.
Bei vielen Schlaganfallpatienten kann
das Sprachvermögen von heute auf morgen vollständig verschwinden.
Dementen fällt auch der Umgang mir
der inneren Realität schwer. Gefühle, Affekte und Einfälle können
nicht mehr richtig eingeordnet werden, beispielsweise werden Träume nicht
mehr als solche erkannt, sondern zu einem (unverständlichen) Teil der Realität.
Dementiell Erkrankte können ihre Emotionen nicht mehr adäquat ausdrücken
oder einordnen, werden aber gerade durch ihr Unvermögen dazu mit einer
Fülle von Emotionen überschwemmt (das sogenannte Demenz-Paradoxon).
Trotz all dieser Einschränkungen bleiben den Dementen meist bis zu ihrem
Tode die Fähigkeiten zum Gemütserleben, soziale Umgangsformen und
zentrale Bereiche der Persönlichkeit.
Nach dem Oben gesagtem, dürfte klar geworden sein, dass die Demenz bzw. die Mulit-Infarkt-Demenz ein ausserordentlich komplexes Phänomen ist und somit eine ganz bestimmte Behandlung niemals den ganzen Symptomkomplex erfassen kann. Einzelne Symptome wie Sprachstörungen und Bewegungsstörungen können bei örtlich und zeitlich begrenzten Infarkten und wenn die Betroffenen nicht zu alt sind, durch ganz gezielte Reha-Massnahmen wieder behoben werden, fortgeschrittene Demenzen lassen sich jedoch kaum behandeln. Ganz allgemein lässt sich sagen, dass die verschiedenen Stadien der Demenz verschiedene therapeutische Massnahmen oder Interventionen erfordern. Funktionstrainings, also die Wiederherstellung von verlorengegangen Fähigkeiten sind nur bei leichten Demenzausprägungen indiziert. Ziel einer Behandlung kann es im wesentlichen nur sein die Progression der Erkrankung zu bremsen, z.B. durch Vermeidung der Risikofaktoren für Ischämien und Infarkte und die Folgen der Erkrankung für den Betroffenen und das Umfeld so weit wie möglich zu begrenzen oder zu lindern. Durch Senkung des Blutdrucks, Regulation der Blutfette, oder das Aufhören von Rauchen oder Trinken kann die Demenzsymptomatik in den seltesten Fällen wieder rückgangig gemacht werden, eine Verschlechterung der Symptomatik aber hinausgezögert werden.
Die Wiederherstellung oder die Erhaltung der Selbstständigkeit ist ein weiteres Therapieziel, das nicht nur den Selbstwert der Kranken erhöht sondern auch Angehörige sowie professionelle Pfleger entlastet.
Medikamentöse Therapieansätze zielen zum einen auf die Behandlung der kognitiven Kernsymptomatik durch Nootropika, zum anderen auf die Beeinflussung psychiatrischer Begleitsymptome durch Antidepressiva, Anxiolytika oder Neuroleptika. Die Wirkweise von Nootropika wird darin gesehen, dass sie noch funktionsfähige Neuronenverbände zu optimaler Leistung stimulieren können oder gegen pathologische Einflüsse zu schützen vermögen, somit sollen sie helfen Gedächtnis-, Lern-, Auffassungs-, Denk- und Konzentrationsfähigkeit zu verbessern.
Nootropika sind sehr umstritten und ihre Wirksamkeit ist nicht gesichert.
Die Betreuung Demenzkranker muß
sowohl die Bedürfnisse und Ängste der Kranken wie die besonderen Schwierigkeiten
und Belastungen der Angehörigen berücksichtigen. Eine Verbesserung
der Betreuungssituation ist dadurch gekennzeichnet, daß das subjektive
Leid der Pflegenden und der gepflegten Person vermindert wird. Dabei kann letztendlich,
aufgrund der Behinderung der zu pflegenden Person, nur die Pflegeperson selbst
den Betreuungsalltag und das System der gegenseitigen Beeinflussung verändern.
Ziel der Anregungen zum verstehenden Umgang und zur Betreuung Demenzkranker
kann nur sein daß die
Handlungskompetenzen der Pflegeperson
erhöht werden, d.h. ihre individuelle Fähigkeiten, die Pflegesituation
zu bewältigen.
Allen Aktivitäten sollte die sogenannte Milieautherapie (Citrin & Dixon) zugrundeliegen, sie besagt dass sich das Verhalten der sozialen Umwelt, also der Interaktionspartner - seien es professionelle Pflegekräfte oder pflegende Angehörige - dem Verhalten des Kranken anpassen muss, da der Kranke selbst aufgrund der zunehmend eingeschränkten Lernfähigkeit kaum noch sein Verhalten ändern kann. Das bedeutet im wesentlichen dass Hilfen zur räumlichen und zeitlichen Orientierung gegeben werden müssen. Die Helfer sollten eine stressarme, vertraute, stabile, sichere und gut überschaubare Umgebung garantieren, den Tagesablauf strukturieren, die Biographie des Dementen kennen, für Sicherheit und Schutz sorgen und konstant und einfühlsam auf die Bedürfnisse des Patienten eingehen.
Das Realitätsorientierungstraining (ROT) gibt auch Hilfen zur zeitlichen und räumlichen Orientierung, die 1963 in den USA entwickelte Interventionsmethode ist aber sehr direktiv ,,Über Wiederholungen und Überlernen sollen Informationen für Desorientierte verfügbar gemacht werden. Es erfolgen permanent Hinweise auf die Realität, falsche Aussagen werden korrigiert". Aber entscheidend für das Wohlbefinden des Kranken ist nicht nur das Erkennen und Trainieren von objektiven richtigen Informationen, sondern die Tatsache, daß der Kranke subjektiv ein Gefühl von Sicherheit und Orientierung erlebt und dafür entsprechende Hilfen bekommt.
Die Möglichkeit sprachlicher Kommunikation
zwischen dem Dementen und seinen Bezugspersonen wird mit dem Fortschreiten der
Krankheit zunehmend eingeschränkt. Der Kranke ist immer weniger in der
Lage, sich sprachlich sinnvoll und verständlich zu äußern und
die Mitteilungen anderer zu verstehen.
Die Beteiligten leiden unter dieser Sprachlosigkeit.
Für viele pflegende Angehörige markiert der Verlust der gewohnten
Verständigungsmöglichkeit das Ende der vertrauten Beziehung und den
Verlust eines geliebten Menschen. Wichtig ist es daher neue Möglichkeiten
der Kommunikation zu finden um mit den Erkrankten weiterhin in Verbindung zu
bleiben.
Der Inhaltsaspekt (Vermittlung von Informationen)
der Kommunikation ist gestört. Das Verständnis für Inhalte vieler
Mitteilungen ist nicht mehr vorhanden und die eigenen Äußerungen
sind zumeist falsch oder erscheinen inhaltsleer.
Aufgrund der Tatsache, daß während
des Verlaufs der Erkrankung die Inhaltsaspekte der Kommunikation für den
Demenzkranken immer unzugänglicher und auch weniger wichtiger werden, gewinnt
der Beziehungsaspekt zunehmend an Bedeutung.
Zuwendung, Liebe, Bestätigung, aber
auch Ärger, Ungeduld, Angst und vieles andere, was der gesunde Partner
über die Beziehung zum Kranken vermittelt, wird vom Erkrankten verstanden,
auch wenn er den Inhalt der gesprochenen Worte nicht mehr zu erfassen vermag.
Auch wenn der Inhaltsaspekt falsch ist und seine Worte unsinnig sind, so besitzt doch jede seiner Äußerungen einen Sinn. Es ist wichtig die Gefühle und Bedürfnisse ,,hinter" der Inhaltsebene zu erkennen, zu bestätigen und gegebenenfalls für den Kranken in Worte zu fassen.
Konflikte treten dann auf wenn die Angehörigen verstärkt auf den Inhaltsaspekt einer Nachricht achten und das falsche in der Nachricht dem Demenzkranken rückmelden. Dies kann Wut, Angst, Verzweiflung auslösen. Der Demenzkranke kann die Gegenargumente auf der Inhaltsebene nicht mehr erfassen. Was ihn erreicht, ist der Beziehungsaspekt der Mitteilung, den er als bedrohlich erlebt: ,,Ich greife dich an" , ,,Ich halte dich für inkompetent".
Zu einer Respekt vermittelnden Kommunikation gehört auch den Dementen nicht als Kind zu behandeln, sondern ihn als Erwachsenen zu sehen, ihn, in allem was er tut, ernst zu nehmen und ihm das Gefühl vermitteln, gebraucht zu werden.
Rituale, Musik, gemeinsames Singen und Tanzen, Körperkontakt, Gerüche und anderes mehr sind Möglichkeiten, die analoge (Watzlawick) Form des Mitteilens zu fördern und den Kranken in seiner Lebendigkeit anzusprechen.
Domdey, C. (1996). Der dementiell erkrankte Mensch in der Familie. In Thema. Kuratorium Deutsche Altenhilfe. Köln.
Ehrhardt, T. Plattner, A. (1999). Verhaltenstherapie bei Morbus Alzheimer. Göttingen: Hogrefe.
Füsgen, I. (1995). Schlaganfall. Wiesbaden: Vieweg.
Gräßel, E. (1998). Häusliche Pflege dementiell und nicht dementiell Erkrankter: Teil I und Teil II. Zeitschrift für Gerontologie und Geriatrie, 31, 52-56, 57-62.
Mauritz, K.H. (1994). Rehabilitation nach Schlaganfall. Stuttgart; Berlin; Köln: Kohlhammer.
Mielke, R. Kessler, J. (1994) Alzheimersche Erkrankung und andere Demenzen. Göttingen: Hogrefe
Kessler, J. Kalbe, E. (2000) Gerontoneuropsychologie in Storm, Herrmann, Wallesch (Hrsg.) Lehrbuch der klinischen Neuropsychologie. Swets&Zeitlingen.
Müller, Laux, Kapfhammer (2000) Psychiatrie und Psychotherapie Kap 41 Demenz bei zerebrovaskulären Krankheiten. Berlin: Springer.
Forschungskriterien nach ICD 10 / Multi-Infarkt-Demenz
A. Die allgemeinen Kriterien für eine vaskuläre Demenz müssen erfüllt sein.
B. Der Beginn erfolgt allmählich (d.h. innerhalb von drei bis sechs Monaten) nach mehreren kleineren ischämischen Episoden.
Forschungskriterien nach ICD 10 / vaskuläre Demenz:
G1. Die allgemeinen Kriterien für eine Demenz (G1.-G4.) müssen erfüllt sein.
G2. Ungleiche Verteilung der Defizite höherer kognitiver Funktionen, von denen einige betroffen, andere relativ verschont sind. So kann das Gedächtnis eindeutig eingeschränkt sein, während das Denken, Urteilen und die Informationsverarbeitung nur mäßig beeinträchtigt sind.
G3. Nachweis einer fokalen Hirnschädigung, die durch ein oder mehrere der folgenden Merkmale angezeigt wird:
1. einseitige spastische Hemiparese der Gliedmaßen,
2. einseitig gesteigerte Muskeleigenreflexe,
3. positiver Babinskireflex,
4. Pseudobulbärparalyse.
G4. Eindeutiger Nachweis einer zerebrovaskulären Krankheit aus der Anamnese, aufgrund von Untersuchungen oder besonderen Tests, die für die Demenz
verantwortlich gemacht werden kann (z.B. Insultanamnese, Nachweis einer zerebralen Infarzierung).
Forschungskriterien für eine Demenz nach ICD 10
G1. Nachweis aller folgenden Bedingungen:
5. Eine Abnahme des Gedächtnisses, die am deutlichsten beim Lernen neuer Information und in besonders schweren Fällen auch bei der Erinnerung früher erlernter Informationen auffällt. Die Beeinträchtigung betrifft verbales und nonverbales Material. Die Abnahme sollte objektiv verifiziert werden durch eine Fremdanamnese, sowie möglichst durch eine neuropsychologische Untersuchung oder quantifizierte kognitive Verfahren. Der Schweregrad sollte folgendermaßen abgeschätzt werden (die leichte Beeinträchtigung gilt dabei als "Schwellenwert" für die Diagnose):
Mittelgradige Beeinträchtigung: Ein Ausmaß an Gedächtnisstörung, das eine ernste Behinderung für ein unabhängiges Leben darstellt. Nur gut gelerntes oder sehr vertrautes Material wird behalten. Neue Informationen werden nur gelegentlich und sehr kurz behalten. Die Betroffenen sind nicht in der Lage, grundlegende Informationen darüber, wo sie leben, was sie vor kurzem getan haben oder Namen vertrauter Personen zu erinnern.
Schwere Beeinträchtigung: Schwerer Gedächtnisverlust mit vollständiger Unfähigkeit, neue Informationen zu behalten. Nur Fragmente von früher Gelerntem bleiben übrig. Die Betroffenen erkennen nicht einmal mehr enge Verwandte.
6. Eine Abnahme anderer kognitiver Fähigkeiten, charakterisiert durch eine Verminderung der Urteilsfähigkeit und des Denkvermögens, wie z.B. der Fähigkeit zu planen und zu organisieren und der Informationsverarbeitung. Dies sollte, wenn möglich, durch eine Fremdanamnese und eine neuropsychologische Untersuchung oder quantifizierte objektive Verfahren nachgewiesen werden. Die Verminderung der früher höheren Leistungsfähigkeit sollte nachgewiesen werden. Der Schweregrad der intellektuellen Beeinträchtigung sollte folgendermaßen abgeschätzt werden (die leichte Beeinträchtigung gilt dabei als "Schwellenwert" für die Diagnose):
Leichte Beeinträchtigung: Die Abnahme kognitiver Fähigkeiten beeinträchtigt die Leistungsfähigkeit im täglichen Leben, macht die Betroffenen aber nicht von anderen abhängig. Komplizierte tägliche Aufgaben oder Freizeitbeschäftigungen können nicht ausgeführt werden.
Mittelgradige Beeinträchtigung: Die Abnahme der kognitiven Fähigkeiten führt dazu, daß die Betroffenen nicht ohne Hilfe im täglichen Leben, wie z.B. mit dem Einkaufen sowie im Umgang mit Geld, zurechtkommen. Zuhause werden nur einfache Tätigkeiten beibehalten. Die Tätigkeiten werden zunehmend eingeschränkt und kaum durchgehalten.
Schwere Beeinträchtigung: Der kognitive Abbau ist durch das Fehlen nachvollziehbarer Gedankengänge charakterisiert.
Der Gesamtschweregrad der Demenz wird am besten bestimmt durch das Ausmaß der Gedächtnis- oder der anderen kognitiven Leistungseinbußen, je nachdem welche Beeinträchtigung schwerwiegender ist (z.B. eine leichte Beeinträchtigung der Gedächtnisleistung und eine mittelschwere Beeinträchtigung der intellektuellen Fähigkeiten zeigen eine Demenz mitteleren Schweregrades an).
G2. Um G1. eindeutig nachweisen zu können, muß die Wahrnehmung der Umgebung ausreichend lange erhalten geblieben sein (d.h. Fehlen einer Bewußtseinstrübung, wie in F05, Kriterium A, definiert). Bestehen gleichzeitig delirante Episoden, sollte die Diagnose Demenz aufgeschoben werden.
G3. Die Verminderung der Affektkontrolle, des Antriebs oder des Sozialverhaltens manifestiert sich in mindestens einem der folgenden Merkmale:
1. emotionale Labilität
2. Reizbarkeit
3. Apathie
4. Vergröberung des Sozialverhaltens
G4. Für eine sichere klinische Diagnose sollte G1 mindestens sechs Monate vorhanden sein. Wenn der Verlauf seit dem manifesten Krankheitsbeginn kürzer ist, kann die Diagnose nur vorläufig gestellt werden.